Von quietschenden Scharnieren
Uwe hält seine Mütze fest und ich halte ihn. Der Wind pfeift uns nur so um die Ohren und die kleinen Kähne im alten Fischereihafen schaukeln bedenklich hin und her. Wir haben uns direkt nach einer heißen Tasse Kakao am Morgen hierher auf den Weg gemacht. „Da vorn, auf dem Schild! Das ist der Bootsverleih von dem die Seehunddamen gesprochen haben!“ Während Uwe redet, klappert ihm vor Kälte der Schnabel. Vor der Tür empfängt uns ein Pfeife rauchender, bärtiger und ernst dreinblickender Mann mit Seemannshut und Matrosenmantel. „Sagt mir jetzt nicht, dat ihr zwei Döspaddel euch bei diesem Wetter ein Boot leihen möchtet!“ Etwas eingeschüchtert, schauen Uwe und ich uns an. „Nicht, dat ihr nachher noch auflauft oder kentert! Selbst erfahrene Matrosen meiden die See bei solch einem Wetter.“ Wie sich herausstellt heißt der Mann Peter und hat lange selbst bei der Marine gedient. Wir berichten von den Geschehnissen der letzten beiden Tage. Peter, der immer noch sehr ernst dreinblickt, schaut sich um und überlegt. „Nun, wenn dat so ist, dann bleibt euch wohl nichts anderes übrig. Weihnachten muss gerettet werden!“ Er dreht uns den Rücken zu und wir beobachten gespannt, wie er hinter einer Reihe verkehrt herum gestapelter Boote verschwindet. Es rumpelt und kracht und eine Tür mit Scharnieren, die mal wieder geölt werden müssten, wird geöffnet.
Die Sache mit der Geduld
Die goldene Uhr an den Zinnen von Schloss Ritzebüttel zeigt bereits vier Uhr nachmittags an. Es wird langsam dunkel und die weihnachtliche Beleuchtung lässt die roten Ziegel der Schlosswand in einem gemütlich warmen Licht erscheinen. Wir klopfen an die große hölzerne Eingangstür und ein älterer Herr öffnet uns. „Da brat mir doch einer nen Storch! Wenn das nicht das Deichschaf ist.“ Erschrocken sehe ich den erfreut dreinblickenden Mann an. „Du hast doch letztes Jahr nach Kuddels Weihnachtsmütze gesucht! Richtig, oder?“ Ich nicke langsam und mein Blick wandert zu Uwe, er grinst und meint: „Ist ja wie auf Helgoland hier, der Buschfunk funktioniert!“. Der Mann lacht und sagt: „Klar, besonders, wenn der Held der Geschichte ein Schaf ist! Ich bin Woldericus der Schlossverwalter, was verschafft mir denn die Ehre eures Besuchs? “ Uwe tritt immer nervöser von einem Fuß auf den anderen, er hat für derlei Höflichkeiten keine Geduld mehr. Ihn interessiert jetzt vor allem, weswegen wir eigentlich hergekommen sind. „Deshalb!“, ich reiche Woldericus den Brief aus der Flaschenpost. Er setzt sich die Lesebrille auf, welche ihm vorher noch um den Hals baumelte und studiert das Papier sorgfältig. „Habt ihr denn einen Plan, wie ihr Weihnachten retten wollt?“ Uwe hält es nichtmehr aus, es platzt förmlich aus ihm heraus: „Wo sind die Geschenke!“ Ich werde rot und Woldericus fängt lauthals an zu lachen.
Vom Schatten ins Licht
Woldericus bleibt vor einer großen mit Holz beschlagenen Tür stehen. In der Hand hält er einen alten Schlüsselbund mit unzähligen Schlüsseln. Er wählt den passenden Schlüssel aus, steckt ihn in das Schlüsselloch und dreht ihn um. Die Tür macht ein tiefes, ächzendes Geräusch, so als ob sie schon seit hundert Jahren nicht mehr geöffnet worden wäre. Hinter der Tür herrscht völlige Dunkelheit und weder Uwe noch ich, können irgendetwas im Inneren erkennen. Woldericus verschwindet in dem dunklen Nichts. Ein paar Sekunden später und plötzlich erstrahlt, die vorher völlige Dunkelheit, in hellem Licht. Nachdem sich unsere Augen an die Helligkeit gewöhnt haben, kommt er lächelnd auf uns zu und fragt: „Na, habt ihr so etwas schon einmal gesehen?“ Uwe und ich sind überwältigt. Überall Geschenke, gestapelt bis unter die Decke des alten Gewölbes. Große und kleine, runde, quadratische oder völlig seltsam geformte Päckchen. Welche, mit oder ohne Schleifenband und Verpackungspapiere in allen Mustern und Farben, die man sich nur vorstellen kann. „Hier sind ja überall Zettelchen mit Namen an den Geschenken!“, ruft Uwe. Er ist irgendwo hinter einem weiteren Berg aus Päckchen verschwunden. Ich frage: „Woldericus, wie funktioniert das eigentlich mit den Geschenken? Woher weiß der Weihnachtsmann, wer, was, wie geschenkt haben möchte? Und wie kommen die ganzen Geschenke denn überhaupt hierher?“ Woldericus grinst verschwörerisch: „Betriebsgeheimnis, mein liebes Deichschaf… Betriebsgeheimnis.“
Alles geplant!?
Es ist schon spät am Abend und wir sind zurück in meiner der Ferienwohnung. „Zum Glück hatte Peter noch sein altes An-Land-und-im-Wasser-fahrende-mit-extra-verchromten-Sonderreifen-ausgestattete-Schiff-Auto-Schlitten-Gefährt!“, sage Ich zu Uwe, der am Fenster sitzt. „Unser Plan steht. Wir haben ein Fahrzeug, das allen Gezeiten trotzt. Eine Truppe motivierter und topp trainierter Seehunddamen, die uns durchs Watt ziehen werden und dank Woldericus steht die Geschenkeversorgung ebenfalls.“ Uwe stimmt mir zu und betrachtet gedankenverloren sein Spiegelbild in der Fensterscheibe. Ich nehme einen Schluck Tee, lehne mich im Sessel zurück und schließe die Augen. Es ist ein paar Minuten still im Zimmer, dann fragt Uwe: „Sag mal, Deichschaf? ... Woher wissen wir eigentlich, wohin wir die Geschenke liefern müssen?“ Ich reiße die Augen auf und springe aus dem Sessel.